Stationen eines Künstlerlebens

von Minnegard Kirchmauer

„In meinem Kopf sind noch so viele Bilder !“

Diesen Satz sagte Reno Ernst Jungel, als er mit ungefähr achtzig Jahren schwerkrank darnieder lag. Er wähnte sich dem Tode nahe, wurde aber wieder gesund und konnte sein künstlerisches Schaffen noch einige Jahre weiterführen.

Ernst Friedrich Jungel, kam am 5. Feber 1893 als Sohn des K. u .K. Oberbau- und Rechnungsrates Friedrich Jungel und seiner Gattin Therese, in Radkersburg in der Steiermark zur Welt. Die Familien seiner Eltern stammten ursprünglich aus dem Schwarzwald. Durch den Beruf des Vaters, der viel in der Monarchie herumreisen musste, – die Geschwister waren in verschiedenen Teilen des Reiches geboren – siedelte die Familie bald nach der Geburt von Ernst Friedrich nach Graz, wo Jungel aufwuchs.

Er war der zweitjüngste Sohn des Ehepaares und hatte noch acht Geschwister. Die Eltern erzogen die Kinder nach den zu dieser Zeit üblichen, moralischen und gesellschaftlichen Grundsätzen, wobei Fleiß, Gewissenhaftigkeit und gute Umgangsformen besonders beachtet wurden. Diese Eigenschaften haben Jungel bis ins hohe Alter begleitet und ihn befähigt – selbst als er sein Augenlicht infolge Krankheit in den letzten Lebensjahren fast gänzlich verlor – noch mit großer Disziplin zu arbeiten. So entstanden die Werke zwischen 1980 und 1982.

Von 1899 bis 1903 besuchte Jungel die Knabenschule der evangelischen Kirchengemeinde in Graz und anschließend die K. K. Staatsoberrealschule ebenfalls in Graz, die er im Jahre 1910 mit dem Zeugnis „Reif mit Auszeichnung“ abschloß.

Schon früh half er dem Vater beim Zeichnen von Plänen, vielleicht liegt hier der Ursprung des beeindruckenden graphischen Talentes verborgen, das den Künstler so auszeichnete.

Sein größter Wunsch war Maler zu werden. Er studierte zunächst vier Semester an der Landes-Kunstschule in Graz bei Prof. Alfred Zoff, der ihm schon 1912 eine „sehr schöne künstlerische Zukunft“ bescheinigte. Es entstanden einige Ölgemälde wie die Portäts seiner Eltern oder verschiedene Stilleben.

In den Jahren 1912 und 1913 absolvierte er das „Einjährigen-Jahr“ beim K. K. Militär in Pola. Aus dieser Zeit stammte auch seine Liebe zum Meer und zum Licht des Südens. Nach seiner Rückkehr setzte er seine Studien an der Kunstschule Graz fort und wurde gleichzeitig als Assistent für Freihandzeichnen an das R.K.II Staatsgymnasium bestellt.

Am 26.Juli 1914 wurde Jungel als Kadett-Aspirant eingezogen und am 1.Jänner 1915 zum Fähnrich, am 1.Juli 1915 zum Leutnant und mit 1.August 1917 zum Oberleutnant ernannt.

Während des Krieges war Jungel an den verschiedensten Kriegsschauplätzen eingesetzt, wie in den Karpaten, in Südtirol usw. Als Zeichner für die „Österreichische Illustrierte Zeitung“ dokumentierte er die Zustände an der Front und hielt damit auch das Leben einfacher Soldaten fest. Im Heft Nr. 30 dieser Zeitschrift, das als einziges im Nachlass des Künstlers erhalten blieb, ist z.B.die Zeichnung „Mittagessen im Felde“ (Abb….) veröffentlicht.

Das Kriegsgeschehen und die Erlebnisse an der Front haben ihn veranlasst ein Tagebuch zu führen, welches den seelischen Zwiespalt des Soldaten einerseits und des Künstlers andererseits sehr deutlich zum Ausdruck bringt.

Zitat: 28.III.1915

die Tage über leben wir ständig in Unsicherheit, ob wir nicht über Nacht einen Rgg.-Befehl bekommen würden. Die Kämpfe spielen sich bereits 5 km von Nagy Beresny ab. Prachtvoll ist so ein Nahkampf. Die schweren Batterien schießen wie wahnsinnig, man sieht an allen Ecken Mündungsfeuer aufblitzen, dazu fortwährend Leuchtkugeln, die das Vorfeld beleuchten, ein schaurigeres Feuerwerk gibt es nicht – geheimnisvoll rauscht und knattert auf der ganzen Linie das Gewehr- und MG-Feuer, die Geschütze donnern – es ist ein Lärm in der Luft, als ob man jeden Augenblick eine große Katastrophe erwarten würde. Wir erhalten Marschbereitschaft. ….ich gehe ungern von hier weg, die Gegend ist landschaftlich sehr schön. Ein Wald in seiner braunen zarten Farbe, wie krauses Haar, die Wiesen braungrün, stellenweise moosgrün mit rötlichen, ja violetten Strauch- und Baumgruppen besät, im Tale zieht die Ondawa (?) in breitem Bette silbergrau dahin – man sollte meinen, die Menschen können nicht morden in dieser herrlichen Natur. Habe heute Abend ein wenig gezeichnet (Parkplatz). Wenn ich wieder meine Palette an der Hand hätte, um froh und sorgenlos die Schönheiten der Natur nachbilden zu können, wäre ich glücklich! – Aber ich glaube, ich habe nicht mehr das Können, Gesehenes so nachzubilden, wie ich es sehe, mit der Innerlichkeit der Liebe zur Natur. Werde ich überhaupt so weit kommen? Wie viel Arbeit liegt vor mir – werde ich die Kraft dazu aufbringen?

Am 26.Jänner 1918 wurde Jungel als Oberleutnant in den Aktivstand des Heeres übernommen und nach Kriegsende zur Dienstleistung beim Landesbefehlshaber in der Steiermark eingeteilt. Im Jahre 1921 versetzte man ihn als Oberleutnant in den dauernden Ruhestand, wodurch er eine kleine Rente beziehen konnte. Als Kriegsauszeichnungen erhielt Jungel das „SIGNUM LAUDIS“ und später das „KARL TRUPPENKREUZ“.

Am 31.Dez.1916 verlobte er sich mit Olga Schimka und heiratete am 17.September 1918. Olga war aus vermögendem Haus, wurde am 3. November 1897 als Tochter von K. u. K. Oberbaurat Viktor Schimka und dessen Frau Ludmilla in Przemysl geboren. Beruflich war ihr Vater – ebenso wie Jungels Vater – in verschiedenen Orten der Monarchie tätig, so wuchs das Mädchen teils in Przemysl, teils in Graz auf. Ihre Ausbildung genoss sie als Tochter aus gutem Hause in einem Mädchenpensionat in der Schweiz. Olga sprach fließend französisch und spielte ausgezeichnet Klavier. Sie war ein stilles junges Mädchen, bildschön, etwas zur Melancholie neigend.

Am 20.August 1919 kam sein Sohn Norbert Viktor Ernst in Graz zur Welt.
Die junge Mutter, Olga, wohnte weiterhin mit dem kleinen Norbert bei ihren Eltern, war sehr viel allein, da Jungel seine unterbrochenen Studien, nunmehr an der Kunstschule Karlsruhe, fortsetzte. Auch er litt unter der Trennung von seiner Frau „Olly“ und von seinem Sohn, wie aus seinen Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht.

Erinnerungen des Sohnes

Durch die schwierige Nachkriegszeit in die ich hineingeboren wurde, – mein Vater weilte noch als Kunststudent den größten Teil der Jahre im Ausland – wuchs ich bis zu meinem vierten Lebensjahr bei meinen mütterlichen Großeltern, K. u. K.. Oberbaurat Viktor und Ludmilla Schimka, in Graz auf.

Meine Mutter war eine große, stattliche, bildschöne Frau, mit rotblondem, wallenden Haarschmuck. Erzogen in einem Schweizer Mädchenpensionat, sprach sie fließend französisch, interessierte sich für Musik, – sie konnte wunderbar Klavierspielen – Literatur und alle schönen Künste. Als sie gegen Ende des Ersten Weltkrieges meinen Vater heiratete, war eine Familiengründung in dieser Nachkriegszeit, trotz der finanziellen Hilfe ihrer Eltern, mit großen Schwierigkeiten verbunden. Bald entwickelte sich für meine Eltern, durch den Verlust der Offizierslaufbahn meines Vaters, eine eher schlechte finanzielle Situation. Meine so behütet aufgewachsene Mutter war leider dieser plötzlichen Sorge nicht gewachsen und schied am 25.November 1928 selbst aus dem Leben, nachdem sie mich zuvor ihrer Haushälterin, die auch sie schon als Kind umsorgt hatte, anvertraute. So wuchs ich in Mähren bei meiner Ziehmutter in der ehemaligen Tschechoslowakei glücklich und gesund auf. Erst für den Besuch der Mittelschule konnte ich nach Graz zurückkehren. Wie alle jungen Männer dieser Zeit, wurde ich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zum Militärdienst einberufen und verbrachte die Kriegszeit bei der Luftwaffe. Nach dem Krieg studierte ich Medizin, heiratete Margaretha Hilberger aus Teufenbach und eröffnete eine Arztpraxis im Burgenland.

In allen Lebensberührungen zwischen mir und meinem Vater, überwältigte mich immer wieder die übermenschliche Lebenskraft meines Vaters, täglich Neues zu schaffen. Er gab mir für mein Leben die Kraft der Ehrlichkeit und des Fleißes und die ihn als Graphiker auszeichnende Kompromisslosigkeit der Genauigkeit mit. Für mich blieb er bis zu seinem Ableben ein „Suchender“.

Meine drei Kinder – Georg, der ebenso wie ich Arzt wurde, Norbert – er wurde AHS-Lehrer und Jutta-Maria, Goldschmiedemeisterin – haben ihn sehr glücklich gemacht.

Mit großer Freude durfte ich ihn in seine dritte Ehe als Trauzeuge begleiten. Mit Dankbarkeit gedenke ich der Zeit, die ich mit meinem Vater bis zu seinem Tode verbringen durfte.

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Wie schon erwähnt, wurde bei Jungel durch das Jahr in Pola die Liebe zum Meer und zum Licht des Südens geweckt, welche in seinem Werk bis an sein Lebensende zum Ausdruck kommt.

So zog es ihn immer wieder ans Mittelmeer. Er unternahm Reisen nach Italien, Korsika, Südfrankreich und Paris. Als mittelloser Künstler hatte er das Glück bei den Verwandten seiner Frau, die sich im Ausland aufhielten, wohnen zu können. Dabei lernte er auch die Menschen dieser Regionen kennen, die ihn in ihrer Einfachheit faszinierten. Leider gibt es aus dieser Zeit nur sehr spärliche Skizzen und Aquarelle, da durch verschiedene Umstände viele Arbeiten abhanden kamen.

Paris war für Jungel eine Stadt mit besonderem Flair, die ihn nicht nur in seiner Jugend anzog. Damals aber genoss er die Atmosphäre in den Künstlerkolonien, den Umgang mit anderen Künstlern, sehr.

Nachdem er 1923 wieder als Assistent am II. Staatsgymnasium, später Oeverseegymnasium benannt, tätig war, wurde er auch als Hilfslehrer an die „Bundesgewerbeschule für das Baufach und Kunstgewerbe“ berufen. Diese Tätigkeit bescherte ihm eine bescheidene finanzielle Absicherung und auch genügend Freizeit, um seine Studien an der Universität Graz – Kunstgeschichte – und an der Akademie in Wien, fortzusetzen.

Von 1926 bis 1928 war er Reklamechef des grafischen Betriebes „Alfred Wall“, nachdem er 1925 den 1.Preis bei einem Wettbewerb der Handelskammer und 1926 den 1.Preis für das Herbstmesse-Plakat erhalten hatte.

Der Tod seiner Frau Olga, die am 25.11.1928 freiwillig aus dem Leben schied, war ein schwerer Schicksalsschlag für den Künstler. Er hatte seinen neunjährigen Sohn Norbert zu betreuen und gleichzeitig seinen Studien und seiner Arbeit nachzugehen. Zum Glück gab es eine Haushälterin aus der Familie Schimka – diese hatte schon seine Frau Olga als Kind betreut – die sich des kleinen Buben annahm und Mutterstelle vertrat. So konnte Jungel sich erneut seinen Studien widmen, reiste wiederum nach Frankreich und Italien. 1930 wurde er mit der silbernen Medaille für Kunst der Stadt Graz und 1931 mit dem Staatspreis für bildende Kunst ausgezeichnet.

Trotz aller Schwierigkeiten beteiligte sich Jungel in diesen Jahren rege am Grazer Gesellschaftsleben. Von Natur aus ein sehr geselliger Mensch, wortgewandt und charmant, war Jungel – nicht nur unter den Künstlern – eine herausragende Persönlichkeit. Mit seiner Lebenslust, Toleranz, seinem geistreichen Witz, und seinem Charme scharte er eine große Zahl von Persönlichkeiten wie z.B. Arch. Bruno Fiedler, Arch. Rolf Eugen Heger, Ernst Dombrowski, Leo Scheu, Frau Klara Schöttner, Arch. Hans Hönel, Dr. Karl Rotky und viele andere, um sich. Eines Tages entstand im Freundeskreis die Idee eines „Künstlerbundes“ und so wurde am 27. April 1925 im Hotel Wiesler der „Künstlerbund Graz“ gegründet. Der erste Präsident dieser Vereinigung war Arch. Bruno Fiedler, sein Stellvertreter Prof. Wilhelm Gösser, Schriftführer Ernst Jungel. 1931 wurde Jungel zum Vizepräsidenten gewählt und ab 1934 war er Präsident.
Auch trat er 1927 dem „Bund österreichischer Gebrauchsgraphiker“ bei und blieb ab 1960 als nicht zahlendes Mitglied dieser Vereinigung treu. Ebenso war er Mitglied des „Werkbundes“.

1932 lernte Jungel, bei einer Geburtstagsfeier im Freundeskreis, seine zweite Frau Rauthgundis Manner kennen. Sie kam am 25. Mai 1909 als viertes Kind des Sparkassendirektors von Fürstenfeld, Julius Manner und seiner Frau Maria geb.Thaller zur Welt. Rauthgundis genoss eine sehr behütete Kindheit und Jugend und wurde als jüngstes Kind von den Eltern und den Geschwistern – sie hatte einen Bruder und zwei Schwestern – sehr verwöhnt. Leider verstarb ihr Vater als sie vierzehn Jahre alt war. Die verwitwete Mutter war streng und achtete sehr auf die Ausbildung und Erziehung der Kinder. Als sogenannte „Höhere Tochter“ hatte Rauthgundis eine umfangreiche Ausbildung genossen. Sie besuchte das Gymnasium in Fürstenfeld, machte eine Ballettausbildung, war eine wunderbare Turnerin, konnte sehr gut Klavier- und Orgelspielen – als junges Mädchen war sie Organistin in der evangelischen Kirche in Fürstenfeld – auch Tennisspielen und Radfahren beherrschte sie.

Als Bedingung für eine Eheschließung der Tochter mit dem Künstler Ernst Jungel, nannte die Mutter der jungen Frau eine gesicherte finanzielle Zukunft des Bräutigams.

1933 legte Jungel die Lehramtsprüfung für Zeichnen an den Mittelschulen, sowie für Handarbeit für Knaben, ab und wurde in diesem Jahr als ordentlicher Professor für Freihandzeichen und Handarbeit für Knaben an das Oeverseegymnasium, sowie an die Bundesgewerbeschule für das Baufach und Kunstgewerbe berufen. Dadurch hatte sich seine wirtschaftliche Situation wesentlich verbessert.

Nun war die Voraussetzung für eine neuerliche Familiengründung gegeben. Die Hochzeit mit Rauthgundis fand am 17. Dezember 1933 in der evangelischen Kirche in Fürstenfeld statt.

Was die junge Frau aber besonders auszeichnete, war ihr Esprit und ihr reger Geist, die Fähigkeit Menschen in ihren Bann zu ziehen. Man ist versucht zu sagen eine „raumfüllende Persönlichkeit“! Für Jungel war sie in diesen Jahren eine kongeniale Partnerin. Beide waren schöne Menschen und zogen die Blicke auf sich.

Mit seinen Freunden besuchte Jungel häufig Künstlerfeste, Cafes und Bars, so wurde er gebeten einige dieser Lokale künstlerisch auszugestalten. Unter anderem adaptierte er zusammen mit Arch. Bruno Fiedler die „Bouvier-Weindiele“, oder das Cafe Humboldt und einige andere. Es entstanden sehr reizvolle Wandmalerein, aber wie so viele Dinge im Leben sind diese Cafes verschwunden und mit ihnen auch die zauberhaften Malereien.

Als Maler und auch als Kunsterzieher war Jungel nun eine anerkannte Persönlichkeit. Er übte seine Lehrtätigkeit mit viel Liebe und Verständnis aus und konnte vielen jungen Menschen einen bleibenden positiven Zugang zur Kunst vermitteln. So erinnert sich Landeshauptmann a. D. Dr. Josef Krainer, der das Oeverseegymnasium besucht hatte, besonders an die eindrucksvolle Art, wie Jungel die Schüler beim Zeichnen von Objekten anleitete und sie so fesseln konnte, daß die Zeit im Flug verging.

Seit seiner frühesten Jugend war Jungel ein begeisteter Turner gewesen und ist schon als junger Mann mit seiner Schwester Mathilde, die auch in Graz lebte, dem ATV (Akademischer Turn-Verein, Graz ) beigetreten. Er zählte zusammen mit anderen „Turnbrüdern“, wie das früher genannt wurde, zu den ersten begeisterten Skifahrern. Jungel liebte es in den Bergen zu wandern und unternahm mit seiner Frau, genannt Gundula oder Gundis, in den ersten Jahren ihrer Ehe Skitouren oder Wanderungen. Im Sommer wurden Sonntags weite Radausflüge unternommen.

Als am 26.Sept.1934 Jungels Tochter Minnegard Hedwig Rauthgundis Rosemarie – genannt Minnegard – zur Welt kam, wurden diese sportlichen Unternehmungen etwas eingeschränkt. Sohn Norbert hatte viel Freude mit seiner kleinen Schwester und verbrachte in den Ferien jetzt öfter einige Zeit bei seinem Vater. Die Geburt der Tochter bewog Jungel, sehr einfache aber eindrucksvolle kleine Zeichnungen anzufertigen, die seine Liebe zu Frau und Kind deutlich machen. Überhaupt inspirierte ihn das kleine Mädchen zu besonders reizvollen Kinderzeichnungen. Kaum konnte Minnegard laufen, wurden die Wanderungen und Radtouren wieder aufgenommen.

Erinnerungen einer Tochter

Meine früheste Erinnerung an meinen Vater sind Wanderungen auf den Reinerkogel in Graz. Da meine Eltern, angeblich mir zu liebe, – weil in diesem Garten ein Weg mit weißen Steinchen und eine Schaukel war – in der Hugo Schuchardt-Straße 31 in Graz ein Haus mieteten, – wir wohnten dort ab November 1936 – spazierte mein Vater bei schönem Wetter mit mir auf den Reinerkogel. Bei jedem Baum und größeren Wurzelstock erzählte er mir von Heinzelmännchen und geheimnisvollen Wohnungen unter der Erde, so dass ich noch heute, sehe ich einen Wurzelstock, mit dem Gedanken spiele, wer wohl unter der Erde wohnen würde. Am liebsten saß ich auf den Schultern meines Vaters und ließ mich tragen. Kamen wir bei unseren Wanderungen an einem Zuckerrübenfeld vorbei, zog Papa eine Rübe aus der Erde, schälte sie, (er hatte immer ein Taschenmesser dabei) wir verspeisten die Rübe und hielten Rast. Manchmal machten wir, meine Eltern und ich, Urlaub irgendwo in den Bergen, ich glaube es war auf der Teichalm, da hatte mein Vater einen klappbaren Hocker, eine kleine zusammenfaltbare Staffelei, Farben und Zeichenblock bei sich. Wenn ihm etwas sehr gefiel, nahm er seinen Zeichenblock und malte, oder er saß auf dem Hocker und machte Skizzen. Hie und da durfte auch ich auf seinem Hocker sitzen und in einem eigenen Skizzenblock zeichnen. Dann war ich sehr stolz und kam mir sehr erwachsen vor.

Eine andere Erinnerung aus meiner frühen Kindheit, die mich heute noch mit meinem Vater verbindet, ist „Orangen schälen“!

In der Adventzeit pflegte mein Vater mit mir Weihnachtsschmuck zu basteln. Wir fertigten aus Buntpapier lange Ketten oder Ringe und Sterne an, die dann ins Fenster gelegt wurden, damit das Christkind den Schmuck für den Weihnachtsbaum holen konnte. Bei diesen abendlichen Bastelstunden stand in der Mitte des Tisches ein Korb mit Äpfeln, Nüssen und ORANGEN ! Zu dieser Zeit in den dreißiger Jahren etwas ganz besonderes! Wenn die Kette lang genug war, griff mein Vater in den Obstkorb, nahm eine Orange und begann diese mit dem schon erwähnten Taschenmesser zu schälen. Die Schale wurde vorsichtig in Spalten geschnitten und dann von der Frucht gelöst, die ebenfalls vorsichtig in Spalten geteilt wurde. So blieb die Frucht in einer Blüte, die einer Seerose glich, liegen. Das war ein Ritual, dem ich Abend für Abend erwartungsvoll entgegen sah.

Niemals traf ich später einen Mann, der mit so viel Liebe und Gefühl eine Orange schälte!

Wie schon erwähnt war mein Vater ein sehr geselliger Mensch, ebenso meine Mutter und so erinnere ich mich, dass meine Eltern ein sehr gastfreundliches Haus führten .Da der Freundeskreis sehr groß war, namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft verkehrten in unserem Haus, wurden zu Hause als auch bei Freunden viele Feste gefeiert.

Am 2.Juli 1939 kam meine Schwester Rauthgundis Heidede – genannt Heide – zur Welt. Sie war der Sonnenschein in der Familie!

Im Herbst dieses Jahres begann der Zweite Weltkrieg, so dauerte es nicht lange, da wurde mein Vater zur Wehrmacht eingezogen. Durch die Ereignisse des Krieges und der Nachkriegszeit konnten mein Vater und meine Schwester leider keine sehr starke Beziehung aufbauen. Ab ihrem siebten Lebensjahr wuchs sie bei unserer Tante in Feldbach auf, daher sind die Erinnerungen meiner Schwester an unseren Vater nicht sehr ausgeprägt.

Die Kriegsjahre verbrachten meine Mutter, meine Schwester und ich in Graz. 1944 wurde mein Vater krankheitshalber vom Militär entlassen und kam im Sommer nach Hause. Von Russland brachte er zauberhafte Aquarelle mit, die mich als Kind durch die Darstellung dieser fremden Welt voll Eis und Schnee und vor allem der Armut der Menschen, besonders beeindruckten.

Papa war sehr krank und musste für Wochen ins Krankenhaus. Nachwirkungen dieser Erkrankung verfolgten ihn von nun an sein ganzes Leben. Nachdem er wieder halbwegs genesen war, trat er seinen Dienst als Kunsterzieher im Oeverseegymnasium wieder an. Diese Schule wurde 1944 nach Admont in der Obersteiermark evakuiert, so dass uns alle das Schicksal in das schöne Ennstal verschlug.

Aus Mangel eines geeigneten Mädchengymnasiums besuchte ich von Ende 1944 bis Mai 1945 in Admont das Overseegymnasium – das eigentlich damals eine reine Knabenschule war – und hatte so das Vergnügen meinen Vater als Kunsterzieher und Lehrer zu genießen.

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Die politischen Veränderungen (Ständestaat, Bürgerkrieg) und die krisenhafte wirtschaftliche Lage der dreißiger Jahre, mussten einen sensiblen Künstler, wie Jungel besonders stark berühren. 1934 veröffentlichte er einen Artikel „Kunst als Propaganda eines Landes“, in dem er die allgemeine Geringschätzung und Missachtung der zeitgenössischen Künstler in Österreich anprangert, sowie die stärkere Einbeziehung der Künstler in vielen Lebensbereichen fordert. Hier schrieb er unter anderem: „Mit seinen Werken (des Künstlers) soll Propaganda gemacht werden – er selbst soll aber sehen, wie er fortkommt, wie er sich und seine Familie weiterbringt – nur schaffen soll er für die Öffentlichkeit! Jetzt, wo eine Umgestaltung des Staates erfolgt, jetzt wäre die Zeit gekommen, wo sich Volk und Staat auf ihr wichtigstes Moment ihrer Weltgeltung besinnen sollte, auf ihre KUNST und ihre KÜNSTLER!“

Jungel war in erster Linie Künstler und ließ sich nicht so leicht von den politischen Versprechungen verführen. Seine erste Sorge galt der Freiheit der Kunst. Als Präsident und Vorstandsmitglied des Künstlerbundes versuchte er entsprechende Verbindungen zu knüpfen, um dem Künstlerbund auch in einer neuen politischen Landschaft das nötige Gewicht in der Kunst des Landes zu verleihen.

Jedoch wurde 1938, nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, der Künstler-Bund, wie alle Kunstvereine aufgelöst und die nationalsozialistische „Steirische Kameradschaft der Kunstfreunde“ gegründet. In dieser hatte Jungel keine Funktion.

Um seinen Beruf als Kunsterzieher weiterhin ausüben zu können, legte man ihm nahe, der NSDAP beizutreten. Er stellte daher 1938 den Antrag zur Aufnahme in die NSDAP, danach wurde er vom Reichsbesoldungsamt als Lehrer für höhere Schulen übernommen.

Den amtlichen Bescheid über die Überleitung nach der Reichsbesoldungsordnung vom 1.Okt.1938 erhielt Jungel am 28.März 1939, musste sich aber lt. Mitteilung vom 19.Jän.1940 im Falle der Mobilmachung bereithalten. Von 1938 bis 1942 war Jungel sogenannter Parteianwärter und ab 1942 bis 1945 Parteimitglied. In dieser Zeit hatte er keinerlei Funktionen in der Partei. Da er sich weigerte eine solche zu übernehmen, wurde er mit knapp fünfzig Jahren zur Deutschen Wehrmacht einberufen. Als Oberleutnant bei der Deutschen Wehrmacht wurde Jungel 1942 nach Russland in die Nähe von Smolensk versetzt. Wunderschöne Aquarelle, die die Weite und Schlichtheit dieses Landes widerspiegeln, geben Zeugnis von dieser Zeit. Anschließend wurde er nach Vorarlberg versetzt, von wo er dann im Sommer 1944 krankheitshalber – mit dem Dienstgrad Hauptmann – aus der Wehrmacht entlassen wurde.

Durch die Evakuierung des Oeverseegymnasiums nach Admont verschlug es Jungel gemeinsam mit seiner Frau und den Kindern ins Ennstal. Sie wohnten am nördlichen Ufer der Enns in Hall bei Admont in der „Villa Soher“, gemeinsam mit anderen evakuierten Familien. Als 1945 die Amerikaner von Liezen kommend und die Russen auf der anderen Seite der Enns von Hieflau durch das Gesäuse das Ennstal besetzten, wurde der Fluss zur Demarkationslinie zwischen russischer und amerikanischer Besatzungszone und die Brücke nach Admont konnte nur mit einem besonderen Passierschein überschritten werden. So war es Jungel nicht mehr möglich seinen Dienst als Lehrer ordnungsgemäß auszuüben, die Schule wurde auch bald wieder nach Graz verlegt.

Ende des Jahres 1945 mußte Jungel mit seiner Familie aus der „Villa Soher“ ausziehen, da das Gebäude wieder den rechtmäßigen Besitzern überlassen wurde. Von der Gemeinde Hall wurde ihm ein kleines Blockhaus in den Vorbergen der Hallermauern, am Sonnberg, ganz am Waldrand ca. 1 1/2 Stunden Gehzeit von Admont entfernt, als Mietwohnung zur Verfügung gestellt. Von der Familie „Häuserl“ genannt.

Nach Ende des Krieges hatte Jungel wieder Zeit zu malen und zu zeichnen, nur fehlte ihm Papier und sonstiges Material. So malte er auf Packpapier, Karton, Pressplatten, mit Wasserfarben und Buntstiften von den Kindern, eben was er gerade bekommen konnte.

Im Laufe des Jahres 1945 erfolgte auch die Neugründung des „Künstlerbund Graz“ im Cafe Nordstern unter Beteiligung aller ehemaligen Gründungsmitglieder aus dem Jahr 1925.

Die Einstimmigkeit des Beschlusses ist dem wesentlichen Beitrag Jungels zu verdanken.

Im Jänner 1946 wurde Jungel interniert, zuerst in Graz-Eggenberg, dann in Wolfsberg und Weißenstein in Kärnten, von wo er im Herbst 1947 wieder entlassen wurde.

Als 1948 die sogenannte „Entnazifizierung“ stattfand, übernahm man ihn nicht mehr in den Schuldienst und versetzte ihn, obwohl erst fünfundfünfzig Jahre, in den Ruhestand.

Nachdem seine Frau Rauthgundis mit den Kindern ohne Einkommensquelle in Admont allein zurückgeblieben war – sie durfte vom Konto Jungels lediglich monatlich RM 50,– abheben – fand sie dort eine Verdienstmöglichkeit. Obwohl Rauthgundis keinerlei Erfahrung über die Führung eines Gastbetriebes hatte, ja nicht einmal kochen konnte, pachtete sie mit viel Mut und Selbstvertrauen einen Alpengasthof in den Hallermauern in 1300 m Seehöhe. Eine Tante von ihr, eine berühmte Wirtin und hervorragende Köchin aus Feldbach, Hedwig Thaller und ein Kompagnon, ein perfekter Mechaniker und Skilehrer, Hans-Peter Kronberger, wurden als Partner der ersten Stunde gefunden. So eröffnete Jungel, zu seiner Familie zurückgekehrt, zu Weihnachten 1947 den „Alpengasthof Grabneralm“. Da das Haus nur im Winter als Alpengasthof für Skifahrer und Schulskikurse geführt werden durfte, (in späteren Jahren war die Grabneralm ganzjährig geöffnet) wurde der Speisesaal von ihm liebevoll mit reizenden Wandmalereien (Skihaserln und G´stanzln) ausgeschmückt. Das Abenteuer „Alpengasthof Grabneralm“ konnte beginnen! Leider wurden die Wandmalereien in den sechziger Jahren, als der Alpenverein das Haus übernahm, übertüncht.

Bis 1949 blieb Jungel auf der Grabneralm und betätigte sich als Wirt! Daneben entstanden viele reizvolle Aquarelle, Zeichnungen und Ölbilder vom Gesäuse und den Hallermauern, sowie von den damals noch unverfälschten Gehöften dieser Gegend.

Aber Jungel war ein Stadtmensch und er vermißte sein Atelier.

Daher zog es ihn wieder nach Graz, wo er vorerst bei seiner Schwester Mathilde wohnte. Das Haus in der Hugo Schuchardt-Straße war beschlagnahmt, es wohnten jetzt andere Leute dort. Leider konnte Jungel das Haus auch später nicht mehr zurückerhalten, da das nötige Geld fehlte. Seine Frau Rauthgundis blieb auf der Grabneralm als Wirtin bis 1965 tätig und konnte so einen wesentlichen Beitrag zur Erziehung und Ausbildung der Kinder leisten.

Durch den Aufenthalt im Lager Graz Eggenberg hatte Jungel Erika Kirchner, eine Schriftstellerin, kennen gelernt. Erika Kirchner war geschieden, hatte einen kleinen Sohn, Mario, und vor allem eine Drei-Zimmer-Wohnung in Graz. Da zu dieser Zeit große Wohnungsnot herrschte, vermietete sie Jungel ein Zimmer ihrer Wohnung.

Erika Kirchner war weitgereist, – ihr erster Mann war im diplomatischen Dienst in Ägypten, Griechenland und Italien tätig gewesen – sprach vier Sprachen perfekt und hatte großes Kunstverständnis. Es entwickelte sich daher bald eine intensive Freundschaft, die zu einer Lebensbeziehung wurde. Jungel trennte sich 1950 gänzlich von seiner Frau Rauthgundis. Allerdings wurde die Ehe erst 1977 geschieden und so heiratete Jungel im hohen Alter am 24.Juli 1980 Erika Kirchner, die er all die Jahre zärtlich „Nussy“ rief.

Ab 1949 unternahm Jungel mit seiner Lebensgefährtin viele Reisen in den Süden. Die erste führte sie nach Venedig; die dort entstandenen Werke zeigte er anschließend in einer großen Ausstellung in der Grazer Thalia.

Jungel bezeichnete die Zeit ab 1950 als „Zeit der persönlichen Erneuerung“ und nannte sich nun

RENO ERNST JUNGEL

Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, dass der Künstlername „Reno“ dadurch entstand, weil die Italiener den Namen „Ernst“ schwer aussprechen konnten und ihn daher Reno nannten. Außerdem wollte Jungel auch nach außen hin ein Zeichen für den neuen Abschnitt seines Lebens setzen.

Da Jungel seit 1948 pensioniert war, hatte er Zeit, sich ganz seinem künstlerischen Schaffen zu widmen. Sein Atelier, das sich seit den zwanziger Jahren in der Brockmanngasse Nr. 98 im fünften Stock befand, wurde von ihm täglich vormittags und nachmittags aufgesucht. Er arbeitete viel und wurde von Erika immer wieder ermuntert seine Ideen umzusetzen.

1958 wurde er wiederum zum Präsidenten des Künstlerbundes bestellt, welches Amt er bis 1962 innehatte. 1966 wurde er zum Ehrenpräsident auf Lebenszeit ernannt. In der Zeit seines öffentlich Amtes hat er sich immer bemüht junge Künstler zu unterstützen. Er befaßte sich mit der Entwicklung der Malerei in der modernen Zeit, hielt Vorträge und eröffnete Ausstellungen befreundeter Maler. So auch, auf die persönliche Bitte Leo Fellingers, dessen Ausstellung zum Achtzigsten Geburtstag am 3.April 1964.

1956 initiierte Jungel eine Studienreise zur Kunstbiennale in Venedig und hielt, nach Graz zurückgekehrt, zusammen mit Prof. Augustin Jammerneg über diese Reise einen Lichtbildervortrag.

1961 plante die „Berufsvereinigung bildender Künstler Steiermarks“ eine Sendereihe zur Förderung der steirischen Künstlerschaft. Mit der Durchführung wurde Reno Ernst Jungel betraut.

Selbst gestaltete er zwischen 1950 und 1980 zahlreiche Personalausstellungen.

Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie Dr. Hanns Koren, Dr. Jungwirth, Dr. Josef Krainer sen. und Dr. Josef Krainer jun., DDr. Alexander Götz und viele andere wurden seine persönlichen Freunde und Gönner.
Im Ausland zeigte er seine Werke in zahlreichen Ausstellungen, unter anderem in Paris, New York, und Rom.

Sein gesellschaftliches Leben gestaltete sich nun etwas ruhiger als in seinen mittleren Lebensjahren. Obwohl sein Freundeskreis nach wie vor sehr groß war, zog er es doch vor, zurückgezogener zu leben, Reisen zu unternehmen und sich, wenn es seine Zeit erlaubte, mit seiner Familie zu befassen.

Sein Sohn Norbert wurde Arzt, ließ sich im Burgenland nieder, heiratete und schenkte ihm drei Enkelkinder, Georg, Norbert und Jutta-Maria.

Tochter Minnegard verheiratete sich ebenfalls, brachte drei Kinder zur Welt, Tochter Ursula und die Söhne Armin und Johannes.

Auch die jüngste Tochter Jungels ,Heide, verehelichte sich und schenkte ihm einen Enkelsohn Michael und zwei Enkelinnen, Olivia und Daniela.

Leider gibt es kein Foto mit seiner ganzen Enkelschar.

Im höheren Alter unterbrachen immer wieder schwere Krankheitsfälle seine Schaffenskraft; neben Thrombosen und einer Herzkranzgefäßerkrankung litt er unter dem sogenannten Alterszucker, der letztendlich in den letzten Lebensjahren zur völligen Erblindung führte.

Trotz aller Widrigkeiten arbeitete Jungel konsequent und diszipliniert und konnte sich über Ehrungen und Anerkennungen freuen.

Erinnerungen einer Tochter

Ab 1980 war mein Vater fast ganz erblindet. Er sah nur hell und dunkel und konnte keine Farben und Konturen mehr ausmachen. Trotzdem bestand er darauf, an Tagen, an denen es ihm besser ging, zu zeichnen. So saß er in seinem Stuhl mit einer Decke über den Beinen, seine geliebte Nussy musste ihm auf einem Tischchen, das man über den Sessel stellen konnte, Farbstifte bereitlegen und zwar in einer von ihm bestimmten Reihenfolge, ein kleiner Zeichenblock lag genau vor ihm und so entstanden reizende kleine Fantasien, die er sogar mit Datum signierte!

Mein Vater und seine Frau hatten sich schon einige Jahre zuvor ein kleines Grundstück in Hausmannstätten unterhalb des Gutes Pfeilerhof, ganz am Waldrand, gekauft. Dort hatten sie sich ein kleines Sommerhaus gebaut. Das ganz Anwesen wurde „Wieserl “ genannt. Als nun mein Vater ab 1980 schon so schwach war, dass er die Wohnung fast nicht verlassen konnte, zogen er und Nussy, wenn die warme Jahreszeit anbrach, hinaus auf das Wieserl. Dort war alles eben, morgens weckte ihn schon Vogelgezwitscher, ein Rosenstock blühte vor der Veranda, die Düfte des Frühlings und des Sommers beglückten den alten Mann sehr.

Eines Tages bekam er die Nachricht, dass er den Ehrenring der Stadt Graz erhalten sollte. Die Freude war groß und Tränen der Rührung standen in seinen Augen.

Nur leider konnte er infolge seiner schwachen Gesundheit bei der Ehrung nicht mehr persönlich anwesend sein. In Vertretung meines Vaters übernahm seine Frau in einem Festakt am 2.Juli 1982 die Urkunde über die Verleihung. Bürgermeister DDr. Alexander Götz fand sehr berührende Worte und erwähnte, dass erst fünfzehn Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens diese Ehrung erhalten hätten. DDr. Götz bestand darauf, meinem Vater den Ehrenring persönlich zu überreichen und bot sich an nach Hausmannstätten zu kommen. Nussy, ich nannte sie Tante Erika, bat mich, bei diesem Anlass dabei zu sein. Es war ein wunderschöner, sehr heißer Sommertag, Tante Erika hatte einen kleinen Imbiss vorbereitet und eine Flasche Wein eingekühlt. Um 15 Uhr pünktlich kam DDr.Götz . Mein Vater erwartete ihn vor dem Haus sitzend. Mit wenigen sehr persönlichen und liebenswürdigen Worten überreichte ihm DDr. Götz den Ring. Mein Vater steckte ihn an seinen linken Ringfinger und ein Lächeln glitt über sein Gesicht, wie ich es noch nie gesehen hatte. Die ganze Seligkeit über den Erfolg eines langen, arbeitsreichen und teilweise mühevollen Lebens spiegelte sich in seinen Zügen. Er betastete den Ring und wir mussten ihm genau erzählen, wie er aussah. DDr. Götz nahm bei uns Platz und plauderte mit uns den ganzen Nachmittag, während mein Vater immer wieder den Ring berührte und seine Freude über diese Ehrung zum Ausdruck brachte.

Dies war das letzte Mal, dass ich meinen Vater sah und mit ihm schöne Stunden verbringen konnte.

Zwei Tage später musste Tante Erika ihn ins Krankenhaus bringen lassen, wo er am 4.August 1982 friedlich entschlief.
Die Beerdigung meines Vaters fand am 9. August 1982 am St. Leonhard-Friedhof in Graz im engsten Familienkreis statt, wo er im Familiengrab seiner Frau Erika seine letzte Ruhestätte fand.